Mitteilungen für Baedeker-Freunde, Heft 5 / 1983

Der zweite Inhaber der Firma Karl Baedeker

von Dr. L. L. Boyle (alle Rechte beim Verfasser, die Rechte der Übersetzung bei Alex Hinrichsen)

Der wohl am wenigsten bekannte - aber der wichtigste - Nachfahre von Karl Baedeker (dem Firmengründer) war sein Sohn Ernst Adolph Friedrich. Sein Beitrag zur Firmengeschichte war bisher lediglich in den Satz: "Die Söhne setzten das Werk des Vaters fort" eingegangen. Ernst wurde am 26. Oktober 1833 in Koblenz geboren. Sein erster "Beitrag" zum Wohlergehen der Firma wird von Onkel Julius im März 1838 mit den folgenden Sätzen geschildert: "Ist es nicht lieblich zu seh'n, wie der kräftige Ernst mit dem Annchen (seine sechsjährige Schwester) mittags zum Buchladen kommt, um den Vater zum Essen zu holen, und der Vater alsdann, willfahrend den Bitten der Kinder, reichend dem einen die Rechte, der andern die Linke, voll Freude, lachend und scherzend mit ihnen zur liebenden Mutter zurückkehrt, um bei Tische gemütlich mit Frau und Kindern zu plaudern."

Als er älter wurde, absolvierte er eine Lehre in der Vieweg'schen Verlagsbuchhandlung in Braunschweig. Er arbeitete anschließend noch dort, danach in den renommierten Firmen W. Engelmann in Leipzig und in der Sortimentsbuchhandlung von Franz Köhler in Stuttgart. In seinen Dokumenten findet sich der Hinweis, daß er sich am 24. Oktober 1955 an der Universität von Heidelberg einschreiben ließ, und zwar unter Zahlung einer Aufnahmegebühr von 11 Gulden 20 Kreuzern. Seine philosophischen Studien dauerten nur gerade ein Semester. Dann fuhr er auf eine Stippvisite nach Paris, um die erste Auflage des Paris-Bandes seines Vaters zu überprüfen. Und im Herbst 1856 begann er seine zwei Jahre dauernde Arbeit als Gehilfe bei Williams & Norgate in London. Sein Vater schrieb in einem Brief vom 16. Oktober 1856 an John Murray III, um seinen Sohn einzuführen. Dabei bot der Vater die Dienste von Ernst an, Korrekturen bei den Texten über West-Deutschland und über die Schweiz, soweit sie ihm bekannt war, vorzunehmen.

Nach seiner Rückkehr von Williams & Norgate im Jahre 1858 wurde er ernsthaft in die Probleme der Firma seines Vaters eingeführt. Diese betrafen die Veröffentlichung von unerlaubten Übersetzungen, wobei Ernst einen Prozeß gegen einen Herrn Viollet an einem französischen Gericht verlor. Um möglichen in England erscheinenden Übersetzungen zuvorzukommen, ließ er im Oktober 1858 die Baedeker'schen Reisehandbücher durch Eintrag schützen.

Er fand immer Zeit, Murray Verbesserungen vorzuschlagen. Er teilte z.B. mit, daß im neuesten Handbuch von Murray immer noch die alte Hausnummer 459 des Baedeker-Verlagshauses an Stelle der neuen Hausnummer in der Rheinstraße 19 in Koblenz angegeben war.

Er fand auch Zeit, sich 1858 mit Ottilie Wilhelmine Hirzel (geb. 24.12.1838, gest. 5.10.1908) zu verloben, und dann am 22. Mai 1859 zu heiraten. Sie war die einzige Tochter des bekannten Verlegers und Buchhändlers Salomon Hirzel und seiner Ehefrau Anna, die aus der Buchhändlerfamilie Reimer stammte.

Karl Baedeker ernannte Ernst am 1. Januar 1859 zum Teilhaber (veröffentlicht wurde diese Tatsache formell erst am 1. September), wobei er ihn mit der Leitung des Sortiments beauftragte. Bedingt durch die Mobilmachung des preussischen Heeres unterbrach er seine bürgerliche Berufslaufbahn und meldete ich freiwillig. Seine Rückkehr in die Sortimentsbuchhandlung war für Ende 1859 vorgesehen. Der Tod seines Vaters am 4. Oktober 1859, der nach einer nur zweiwöchigen Krankheit starb, rief ihn früher zurück, um die Leitung der Firma zu übernehmen.

Ernst ließ stolz veröffentlichen:

"Ich werde dasselbe unter der bisherigen Firma Karl Baedeker fortführen und mir dabei stets die bewährten Geschäftsprinzipien meines seligen Vaters zur Richtschnur dienen lassen."

Seinen jüngeren aktiven Bruder Karl ernannte er nun zum Leiter des Sortiments; darüber hinaus führte er ein, daß Neuerscheinungen nicht mehr unverlangt angenommen werden.

Die Stärke der Konkurrenz erforderte stetige Umsicht, ob es sich um die Erhaltung des Vertrauens seiner Sortimentskundschaft handelte, oder bei der Ernennung eines Kommissionärs für Berlin (Adolph Enslin). Seine größte Leistung war die Einführung der englischen Ausgaben. Er schrieb am 4. Dezember 1860 an John Murray mit der Bitte um Zustimmung für die Veröffentlichung englischer Ausgaben der Bände "Rhein" und "Paris". Die beiden Bücher waren nicht von Murrays Publikationen abgeleitet sondern von seinem Vater eigenständig entwickelt worden. Er mußte dabei diplomatisch vorgehen, um nicht den Eindruck zu erwecken, Übersetzungen von Deutschland- und Schweiz-Bänden zu liefern, die dem Original entsprachen. Darüber hinaus wollte er nichts Nachteiliges tun, damit der Verkauf von Murrays Handbüchern beeinträchtigt wurde. Murray antwortete sehr schnell - selbst für heutige Verhältnisse. Am 8. Dezember stimmte er dem Plan von Ernst zur Hälfte zu, und genehmigte die vorgesehene Veröffentlichung einer englischen Ausgabe von "The Rhine". Er widersprach der Idee, einen Paris-Band zu veröffentlichen, denn - das war Ernst nicht bekannt - er hatte selber schon viel in die Vorbereitung eines eigenen Paris-Handbuches investiert. Ernst reagierte schnell: Am 14. Dezember schrieb er zustimmend an Murray. Er teilte mit, daß er Mr. Kirkpatrick beauftragt hatte, die deutsche Ausgabe für die englischen Reisenden umzuarbeiten anstatt sie einfach zu übersetzen. Die Arbeit wurde am 15. März beendet, und der erste englische Baedeker kam Anfang Juli 1861 auf den Markt. Murray war der englische Kommissionär; der Preis war wie bei den Murray'schen Handbüchern auf dem Rücken aufgeprägt. Das Buch kostete in Großbritannien ausnahmsweise 12,5% mehr als auf dem Kontinent: Wahrscheinlich eine Maßnahme, um die ungelegene Preiswürdigkeit gegenüber Murrays eigenen Handbüchern zu überspielen. Murray nahm dieses Buch in seine Verkaufsliste auf, zwar ohne Kennung des Autors - aber auch nicht mit einem höheren Angleichen des Verkaufspreises.

Ernst begann auch mit der Trilogie der Italien-Bände, indem er den bisher erschienenen Text aus den Süddeutschland- und Schweiz-Bänden zusammenfaßte und ihn bis Bologna ausbaute, dem damaligen Ende des oberitalienischen Eisenbahnnetzes. Er ließ auch ein Plakat als Werbung herstellen, um in Sortimentsbuchhandlungen auf seine Handbücher aufmerksam zu machen; darüber hinaus hatte er mehrere neue Auflagen der Reisehandbücher in Vorbereitung, als ihn ein Nervenfieber erfaßte, und er im Alter von nur 27 Jahren am 23. Juli 1861 starb. Sein Grab kann man auf dem Karthäuser Friedhof in Koblenz in der Nähe des Grabes seines Vaters sehen.

In seinem Nachlaß befand sich auch die erste Auflage des London-Bandes, vorbereitet für die Weltausstellung von 1862. Seine Witwe Ottilie blieb in engem Kontakt bis November 1868, als sie Adolf Tobler, einen berühmten Professor aus Berlin heiratete, mit dem sie fünf Kinder hatte.

Ernst mag zwar heute vergessen sein, aber Millionen englischer und amerikanischer Reisende sollten ihm dankbar sein, daß er ihnen die Baedeker-Welt zugänglich gemacht hat.

übrigens: Angaben über die Gräber finden sich z.B. in "Die Rheinlande", 16.A./1870 auf S. 235f., in "Köln und das Rheinland", 35.A./1953, S. 259, und in Griebens "Der Rhein", 16.A./1888, S. 97. Auf dem Karthäuser Friedhof ist auch Chr. v. Stramberg, der Autor des Rheinischen Antiquarius und des 2. Teiles der Beschreibung des Moseltales (1. Teil von J.A. Klein), begraben.

Dr. L. L. Boyle: Der zweite Inhaber der Firma Karl Baedeker
In "Mitteilungen für Baedeker-Freunde" Heft 5, S. 5-8.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1983)


Vorwort des HerausgebersTable of contentsVerlag Karl Baedeker, Fortsetzung

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