Reisen und leben, Heft 15 / 1987

Gerhard Peters:

Redakteur an Baedekers Reisehandbüchern 1925-1934

Die zehn Jahre, von denen im folgenden berichtet wird, bilden die Schlußphase in der Ruhmesgeschichte des klassischen 'Baedekers'. Es war die 3. Generation der Baedeker-Dynastie, die diesen dramatischen Abschnitt der Familien- und Verlagshistorie zu bewältigen hatte. Der Höhepunkt der Wertschätzung des erfolgreichen roten Bändchens, des zuverlässigsten Führers bei der individuellen Bildungs- und Erholungsreise der bürgerlichen Gesellschaft, war überschritten. Der Weltkrieg und die Wirtschaftskrise um 1930 stoppten Baedekers Höhenflug; das Dritte Reich und der 2. Weltkrieg führten zum Ruin des Hauses. Für den einsetzenden Massentourismus gab es für das bewährte Baedeker - Konzept keine Chancen mehr. Was von seinen Traditionen überlebte, ging, immer noch unter seinem Namen, als Grundstoff in neue Formen der Reiseinformation über, die sich den Bedürfnissen der modernen Konsumgesellschaft anpaßten. Die 4. Generation des Hauses Baedeker starb darüber hinweg.

Der Verfasser, wohl der letzte Überlebende der aktiven Mannschaft in der Leipziger Baedeker-Redaktion der Zwanziger/Dreißiger Jahre, glaubt mit der Vorlage seiner Erinnerungen aus jener Zeit für die Geschichte des Baedeker-Handbuchs und auch für die der ganzen Gattung des Reisehandbuchs einen nicht ganz unwichtigen Beitrag zu leisten.

Mitte Februar 1925 suchte der Verlag Karl Baedeker in Leipzig mit einer Anzeige im Buchhändler-Börsenblatt einen Mitarbeiter für die Redaktion seiner Reisehandbücher. Ich las die Anzeige und fühlte mich angesprochen. Ich war 25 Jahre alt, hatte im Jahr vorher an der Universität München meinen kunsthistorischen Doktor gemacht und hospitierte damals, um noch etwas dazu zu lernen, in einer angesehenen Darmstädter Verlagsdruckerei. 'Der Baedeker' war mir nicht unbekannt; ich hatte als Student meine kunstgeschichtliche Pflichtreise nach Italien absolviert, mit dem Baedekerband 'Ober-Italien' im Reisegepäck. Da ich mich vorwiegend mit Architekturgeschichte beschäftigt und mit einem Thema aus der Geschichte der Barockbaukunst promoviert hatte, glaubte ich, mit diesem Schwerpunkt meines kunstgeschichtlichen Wissens eine Chance zu haben.

Ich meldete mich in Leipzig unter Benennung meiner akademischen Lehrer und mit Beilage eines Auszuges aus meiner Doktorarbeit. Wenige Tage später erhielt ich Antwort, unterzeichnet von Hans Baedeker: "...schließe ich, daß Sie nach Ihrer Vorbildung und Ihren sonstigen Kenntnissen sehr wohl für die Stellung eines Mitarbeiters in der Redaktion meiner Reisehandbücher in Frage kommen könnten. Allerdings verlangt unsere Tätigkeit eine außergewöhnliche Arbeitsenergie, Entsagung und volle Hingabe. Denn es handelt sich bei uns um gewissenhafte Kleinarbeit innerhalb eines gegebenen Rahmens. Erst wenn die Technik und die äußeren Formen unserer Redaktion beherrscht werden - was erfahrungsgemäß längere Zeit in Anspruch zu nehmen pflegt - läßt sich Spielraum gewinnen für eine größere Freiheit. Auch würde Ihre Mitarbeit keineswegs nur dem kunstgeschichtlichen Inhalt unseres Buches zu gelten haben. Ihre Kenntnisse des Italienischen würden Sie bei der Arbeit an unseren Italienbänden gut verwenden können, auch dauernd Gelegenheit haben, sie durch Lektüre, vielleicht später auch auf Reisen in Italien zu erweitern..."

Diese Perspektiven waren interessant. Die ausgedrückten Warnungen schreckten mich nicht ab; die Reiseaussichten ermutigten mich. Ich sagte also zu, bekam daraufhin den Abschnitt 'Darmstadt' aus einem Baedeker von 1921 zur probeweisen Überarbeitung zugestellt, und wurde für Anfang März zur Vorstellung in ein Hotel in Weinheim a. d. Bergstraße bestellt, wo ich Hans Baedeker und auch seine Frau Martha kennen lernte. Wir gefielen uns. Ich wurde "mit einem gewissen Vertrauen", wie Herr Baedeker einräumte, und mit einem Anfangsgehalt von 250 Reichsmark brutto pro Monat verpflichtet, nicht ohne einen erneuten Hinweis auf die "entsagungsvolle Kleinarbeit", die mich erwartete. Dieser Terminus, der in den kommenden 10 Jahren noch oft, und nicht ohne Ironie, zitiert wurde, traf den Kern der Baedekerarbeit ziemlich genau. Mit der Bemerkung, daß ich auf eine private wissenschaftliche Betätigung in meinem Fach würde verzichten müssen, wurde das Gespräch beschlossen. Nur die Wahrnehmung eines schon terminierten öffentlichen Vortrages über mein Doktorthema wurde mir noch bewilligt.

Erwartungsvoll trat ich am 25. April 1925 in Leipzig, Nürnberger Straße 46, meinen Dienst an. Ich kam zu früh und wurde auf den nächsten Tag bestellt, gewann aber bei dieser ersten Visite im Baedekerhaus eine erste Vorstellung von dem Milieu und der Atmosphäre, in die ich eintreten sollte. Das ist nicht meine Welt, mußte ich konstatieren. Ich war sozusagen mit 'Bauhaus' und 'Blauem Reiter' groß geworden - hier empfing mich 19. Jahrhundert mit Urväter Hausrat! Schnell hatte ich erfaßt, daß man an Stehpulten arbeitete, und der Redaktionsdiener Härtel, der mich empfing, schien mir eine Figur aus Gustav Freytags 'Soll und Haben' zu sein. Er entpuppte sich aber später als ein lieber, zu einem Plausch immer aufgelegter Helfer und Freund. Ich benutzte den freien Tag, etwas benommen, zum Kennenlernen der Pleißestadt. Am nächsten Morgen wurde ich eingeführt. Ich erfuhr sogleich, daß der langjährige Chef des Hauses, Dr. h.c. Fritz Baedeker, am 9. April des Jahres im Alter von 81 Jahren gestorben war. Hans Baedeker, sein ältester Sohn, war sein Nachfolger geworden. Er selbst und sein Bruder Dr. Dietrich Baedeker (Dietz genannt), sowie einige Redakteure und das Personal des 'Kontors' arbeiteten tatsächlich an Stehpulten. Nur Ernst Baedeker, der dritte der Brüder, saß an einem Schreibtisch. Und - o Wunder - auch ich bekam einen Arbeitsplatz mit Schreibtisch, wenn auch im letzten kleinen Eckzimmer, mit Fenster zum Hof, als Nachfolger eines gehbehinderten Kollegen, der kurz vorher ausgeschieden war. Ich konnte zufrieden sein und habe mich an diesem Platz fast zehn Jahre lang wohlgefühlt.

HB (wie Hans Baedeker im Redaktionsjargon zitiert zu werden pflegte), gerade 50 Jahre alt, war ein ernster, überaus tätiger Mann, Respektsperson ohne Einschränkung, von den Sorgen, die ihm mit dem Chefsessel zugefallen waren, schon gezeichnet. Ernst Baedeker war verschlossen, schwer zugänglich, in seinem Arbeitszimmer zurückgezogen, Pfeifenraucher; hinter seinem Schreibtisch hing an der Wand ein kleines Regal mit einer Pfeifensammlung. Dietz war gesellig, er hatte Humor und erzählte gern Anekdoten und Witze. Er hatte in Wien Geographie studiert und eine Wienerin (Dr. Malve Baedeker) geheiratet, die ihm zwei Kinder geschenkt hatte. Diese Mischung der Temperamente unter den drei Brüdern bestimmte das Klima und die Gangart in der Redaktionsetage. Man verkehrte loyal und offen, war tolerant und rücksichtsvoll. Die Türen standen weit auf. Der Achtstundentag wurde großzügig und ohne Kontrolle gehandhabt. Vorrang hatte in allem 'das Schriftchen', wie das Handbuch im Baedeker-Familienkreis, aber auch in der Redaktion apostrophiert wurde. Zeit als Arbeitsleitbild und Druckmittel spielte keine Rolle; Qualität war Maßstab. Diese Maximen und - natürlich mein Schreibtisch - erleichterten mir die Eingewöhnung in die mir zunächst sehr fremde Welt.

Die Redaktion im engeren Sinne bestand bei meinem Antritt - abgesehen von Ernst und Dietz Baedeker, die Geschäftsteilhaber waren, aber auch Redaktionsarbeit leisteten - aus vier hauptamtlichen Kollegen: Ferdinand Moll, Eduard Reusch, Eugen Andrae und Dr. Fritz Hölzel. Dazu waren einige Hilfsredakteure und auswärtige gelegentliche Mitarbeiter tätig. Ich kam als Jüngster dazu, 1/2 Jahr jünger als Hölzel, der seit 1923 zur Redaktion gehörte. Er war Geograph und Kartograph, mit ihm verband mich eine gute Freundschaft, die bis an sein Lebensende (1977) andauern sollte. Nach dem 2. Weltkrieg unterhielt Hölzel in Rheda ein kartographisches Meisteratelier, das in der kartographischen Wissenschaft und im speziellen Handwerk hohes Ansehen genoß.

Senior der Redaktion war Moll, damals wohl an die 60, ein Balte und damit per se ein Edelmann, auch er Respektsperson im Baedekerhaus und vertrauter Berater der Firmenleitung. Am 3. Tag meines Baedeker-Daseins lud er mich in den Leipziger Ratskeller zu einem Glas Rotwein ein - aus dem Glas wurden zwei Flaschen, die bei mir, der ich lange Jahre abstinent gelebt hatte, einen schweren Kopf hinterließen. Moll lud die jüngeren Kollegen öfter in seine Junggesellenwohnung zum Rotwein ein - er bevorzugte schwere Sorten, und diese Abende, an denen natürlich gefachsimpelt wurde, endeten nicht nur bei mir mit schwerem Kopf. Ich muß Ferdinand Moll als meinen väterlichen Lehrer in der Baedekerwissenschaft bezeichnen, und setze ihm hiermit gern ein Denkmal der Freundschaft und Verehrung. Meine unter Molls Leitung erfolgende Ausbildung dürfte als exemplarisch gelten für die Methode, nach der im alten Baedekerhaus die Nachwuchskräfte aufgebaut wurden. Von Moll habe ich die Technik der Baedeker-spezifischen redaktionellen Mache gelernt, die Gewissenhaftigkeit bei der Bearbeitung von Texten, Karten und Plänen, bei der Auswertung der Quellen, sowie die Praxis der Redaktionsreise. Ein gewisses Maß von Pedanterie war dabei in Kauf zu nehmen.

Moll nahm mich unter seine Fittiche und im Juli 1925 auch gleich mit auf die Reise nach Österreich, wo wir das Innviertel und Wien besuchten und 'bearbeiteten'. Ausgestattet mit dem üblichen, von weißem Papier durchschossenen und unauffällig in blauen Karton gehefteten Arbeitsbüchlein für die Jackentasche, das den entsprechenden Teil aus dem Text der verflossenen Auflage, in diesem Falle von 'Österreich', enthielt - auf den Redaktionsreisen und auch in den Hotels wurde die Baedeker-Eigenschaft der Bearbeiter grundsätzlich nicht enthüllt - lernte ich die Aufnahme- und Kontrollarbeit 'vor Ort' kennen. Dabei merkte ich bald, daß nicht nur die Arbeit am Schreibtisch, sondern auch die Reisepraxis 'entsagungsvolle Kleinarbeit' war. Es gab auch Kontroversen zwischen Meister und Schüler, und Enttäuschungen blieben für den Schüler nicht aus. Ein unvergeßliches Beispiel aus Wien: die Gehzeiten von der am Westrand des Schönbrunner Schloßbereiches gelegenen Stadtbahnhaltestelle Hietzing, wo der Normalbesucher Schönbrunns damals aussteigen mußte, bis zum Schloß selbst mußte mit der Uhr in der Hand in gemäßigtem Schritt abgezählt werden. So weit so gut. Aber bei dieser Prozedur wurde mein Kunsthistorikerherz schwer getroffen, insofern nämlich, als ich, Spezialist in Barockarchitektur, erwartete, das AHA-Erlebnis vor der mir noch unbekannten, weltweit berühmten Barockwirklichkeit auch aus der natürlichen Perspektive, also vom Schloßbrückeneingang her, genießen zu können. Für den dafür erforderlichen kleinen Umweg war Ferdinand Moll aber nicht zu haben; wir steuerten das Schloß von der 'verkehrten' Seite, von Westen her, an, und ich kam um den sinngemäßen Ersteindruck.

Das hatte allerdings den redaktionstechnischen Vorteil, daß wir die Existenz des prominenten Parkhotels in Hietzing gleich durch Augenschein bestätigt sehen konnten! Baedekerwirklichkeit rangierte vor historischer Barockwirklichkeit. Ich mußte mich fügen.

Moll war aber mit meinem Lerneifer wohl zufrieden gewesen, denn er reiste von Wien ohne mich nach Leipzig zurück und ließ mich allein nach Prag weiterfahren, wo ich zu beweisen hatte, daß ich zu gebrauchen war. Daß ich in meinem ersten Baedekerjahr Vertrauen und ein gewisses Prestige gewonnen hatte, mag mit daran gelegen haben, daß ich bei der Formulierung des Textes zu den Naumburger Stifterfiguren für 'Sachsen' mit meinem Textvorschlag gegen HB und Reusch das Rennen gemacht hatte.

Ich arbeitete mit Moll an 'Österreich' bis zur Fertigstellung des Bandes im Frühjahr 1926 weiter, wurde im Sommer des Jahres zuerst in den Schwarzwald für diesen Band, dann nach Berlin und in die Niederlausitz für 'Brandenburg' geschickt. Beide Bände bearbeitete ich wieder zusammen mit Moll. Im Oktober 1926 reiste ich nach Holland für die 26. Auflage dieses Bandes (1927), die Moll auch noch überwachte, und im September 1927 besuchte ich noch einmal Prag, die Böhmischen Bäder und den Mährischen Karst, als Mitarbeiter Reuschs an der 2. Auflage von 'Sachsen', die 1928 erschien. Das alles war ein dichtes und vielseitiges Programm für meine ersten zwei Jahre. Ich wurde damit fertig und hatte das Gefühl, daß ich jetzt dazugehörte.

Am 1. Juli 1927 konnte der Verlag die hundertste Wiederkehr seines Gründungstages feiern. 22 Mitglieder der Redaktion, des Kontors und der Buchbinderei versammelten sich in den Räumen der Leipziger 'Harmonie' um die Familie Baedeker, genossen eine festliche Tafel und ergötzten sich an der Vorführung eines Baedeker-bezogenen lustigen Sketches, mit dem Dr. Hölzel und ich die Szene belebten. Die Stimmung war gelöst und heiter, wenn auch auf HB's Stirne die Sorgenfalten nicht weichen wollten. Die Auswirkungen des verlorenen Weltkrieges hatten, von den Redaktionsmitgliedern wohl ziemlich unbemerkt, bereits an der Substanz der Firma gezehrt, aber noch gab es keine Anzeichen für wirtschaftliche Schwierigkeiten.

Zu Ende des Jahres 1927 wurde mir die Neubearbeitung des Bandes 'Spanien/Portugal' anvertraut, dessen letzte (4.) Auflage 1912 erschienen war. Schon die erste Fassung dieses Bandes (1897) war auf Kritik gestoßen. Jetzt sollte der Band von Grund auf neu bearbeitet werden. Der Verlag stiftete mir spanischen Sprachunterricht, ich konnte neuere Fachliteratur nach meinen Vorschlägen anschaffen, und von Mitte März bis Ende Mai bereiste ich die beiden Länder. Aus Molls Aufsicht war ich nun entlassen. 'Spanien/Portugal' erschien in 5. Auflage im August 1927 und war, wie ich mir einbildete, ein 'Erfolg'. Der Verlag würdigte meine Arbeit durch Nennung meines Namens im Vorwort - ein Verfahren, das nicht alltäglich war. 'Spanien' wurde das 'Hauptwerk' meiner Baedekerzeit, ich war stolz auf diese Arbeit, die als bis dato einziges Spanienhandbuch in deutscher Sprache bis in die Nachkriegszeit Bestand hatte. Ein halbes Jahr nach Erscheinen des Bandes brachte ein anderer Reiseführerverlag ebenfalls einen Spanien-Band heraus. Ein kurzes Durchblättern ließ erkennen, daß der Text in weiten Partien aus Baedekertexten bestand. HB protestierte, und das Buch wurde aus dem Verkehr gezogen.

Im Juli 1929 übernahm ich die Schlußredaktion von 'Belgien' (ausgeliefert im März 1930); im November 1929 begann ich mit den Vorbereitungen für die 34. Auflage von 'Rheinlande', dem späten Nachfolger des ersten Baedekerhandbuches überhaupt, der historischen 'Rheinreise von Mainz bis Köln' (1828). Ich bereiste von März bis Anfang Mai 1930 das Gebiet und machte den Band fertig, der im Juli 1931 ausgeliefert wurde. Das war der zweite, aber auch der letzte Baedeker-Band, den ich bis zur Auslieferung allein bearbeiten konnte. Die für Sommer 1931 angesetzte Redaktionsreise nach Holland für eine neue Auflage dieses Bandes mußte wegen der internationalen Wirtschaftskrise, die das Reisepublikum und daher auch den Verlag schwer traf, verschoben werden - auf den Sankt-Nimmerleinstag, wie sich bald zeigen sollte. Der Absatz der Bände, vor allem der fremdsprachlichen Ausgaben, ging rapide zurück, und viele Projekte, die in Arbeit waren, wurden gestoppt. Am 31. Dezember 1931 erhielten alle Angestellten die 'vorsorgliche Kündigung', die sich alle Vierteljahre wiederholte. Die Gehälter wurden gekürzt.

Damit begann in der Redaktion das unangenehme Arbeitsverfahren der 'Beschäftigung': es wurde auf Vorrat gearbeitet, niemand konnte sagen, ob oder wann mit dem Erscheinen von neuen Bänden zu rechnen sei. Ich machte das Holland-Manuskript fertig, schrieb eine kunstgeschichtliche Einleitung zu einem geplanten 'München'-Band, konnte ein kleines 'Weimar'-Bändchen bearbeiten, das 1932 auch noch erschien. Das waren Verlegenheitspublikationen und keine Rettungsanker.

Inzwischen war das Dritte Reich ausgebrochen. Mit dem politischen Umbruch verbanden sich für das Haus Baedeker nicht nur Befürchtungen, sondern auch vage Hoffnungen. Schon im Frühjahr 1933 wurde der 'Deutschland'-Band für eine englische Ausgabe gekürzt, und ein Band 'Europa' wurde vorbereitet, für den ich das Spanien-Kapitel vorzubereiten hatte. Das waren Projekte, die von dem Schlagwort 'Deutschland erwache' und der beginnenden Scheinblüte des NS-Regimes inspiriert worden sein dürften. Zwischendurch machte ich, um die Zeit auszufüllen, Auszüge aus den zahlreichen Aktenordnern, die die Korrespondenzen mit auswärtigen freien Mitarbeitern enthielten, deren Aussagen über "den Baedeker"' eine imponierende Kollektion von Werturteilen aus vielen Jahrzehnten ergaben. In der Bombennacht des 4. Dezember 1943 gingen mit fast dem gesamten Inventar des Baedekerhauses Nürnberger Straße 46 auch diese Zeugnisse der in über 100 Jahren angewachsenen Baedeker-Geschichte zu Grunde. Es muß im Sommer 1934 gewesen sein, als Dr. Fritz Hölzel, Eugen Andrae und ich den Plan faßten, durch eine 'Aktion' aus dem Mitarbeiterkreis einen Beitrag zu leisten zur Sanierung oder gar Rettung des Verlages. Wir richteten - ohne Wissen der Brüder Baedeker - eine sorgfältig vorbereitete Eingabe an den als Reichspräsident amtierenden Generalfeldmarschall v. Hindenburg, in der sicherlich naiven Feststellung, der alte Herr könnte in seiner hohen Stellung eine wirksame Geste zum Eingreifen bei der Baedekerkrise machen. Vielleicht hat dieser kühne Schritt aber doch dazu beigetragen, die Zusammenarbeit des Verlages mit dem NS-Regime, wie Mr. Boyle in REISELEBEN Nr. 13, S. 4 angedeutet hat, zu erleichtern oder zu beschleunigen. HB und seine Brüder mußten sich mit den neuen Herren arrangieren.

Ich für meine Person, ermattet vom Arbeitsleerlauf und entsetzt von der politischen Wende, zog die Konsequenzen aus der makabren Situation und suchte mir ein neues Arbeitsfeld. Am 29. September 1934 kündigte ich meine Stellung im Verlag und verließ Leipzig. Damit fand meine fast zehnjährige Tätigkeit als "Redakteur an Baedekers Reisehandbüchern", wie auf meiner Geschäftsvisitenkarte zu lesen gewesen war, ein Ende. Ich habe in diesen Jahren viel gelernt und viel gesehen, war seßhaft geworden und hatte eine Familie gegründet. Die Zäsur, die diesen Lebensabschnitt beendete, war bitter.

Aber 'Baedeker' holte mich noch einmal wieder ein, als ich nach Kriegsende und Gefangenschaft in meiner Vaterstadt Detmold eine neue, meine alte Heimat wiederfand. Zunächst kam es zu einer Begegnung mit HB, der mir auf einer Durchreise in Detmold 1955 oder 56 einen Besuch abstattete. Das flüchtige Wiedersehen 'zwischen Tür und Angel' war für mich nicht nur ein freudiges, sondern auch ein schmerzliches Erlebnis. HB hatte mich nicht vergessen, aber er ließ merken, wie tief er persönlich vom Schicksal seines Lebenswerkes getroffen war.

Im Jahre 1972 forderte mich dann der Leipziger Nachwuchskollege Oskar Steinheil, der nach Kriegsende in Stuttgart die Redaktion des unter dem Baedekernamen ins Leben gerufenen Autoführerverlages leitete, zur Mitarbeit an dem jetzt für den beginnenden Massentourismus bestimmten und entsprechend neu konzipierten Spanien/Portugalband auf. Ich überarbeitete die kunstgeschichtliche Einleitung für die Auflage von 1972 und überholte auch den ganzen Band für die Auflage von 1976. Auch ein Urenkel des Verlags- und Dynastiegründers Karl Baedeker, Karl-Friedrich Baedeker, der in Freiburg die Serie der Städteführer herausgab, stand 1973 eines Tages vor meiner Tür. Ich bearbeitete für ihn das Bändchen 'Detmold' (1974) und schrieb in den Jahren 1976-78 im überlieferten Baedekerstil den Band 'Wien und Umgebung', der mit einer Auflage von 6000 Exemplaren im August 1979 erschien. Eine bald notwendig werdende Neubearbeitung des Bandes, nach Karl Baedekers frühem Tod am 5. Juni 1979 und dem tragischen Ende des Baedeker-Erben Florian (am 26. Oktober 1980) in vertrauensvoller Zusammenarbeit mit Eva Baedeker, die so bald ihrem Mann und ihrem Sohn im Tode folgen sollte (am 11. März 1984), vorbereitet, war 1984 im Manuskript fertig. Die Arbeit fiel dem neuen Kurs der schließlich 1987 aus den beiden Baedekerverlagen in Stuttgart und Freiburg entstandenen Karl-Baedeker-Verlags GmbH in Kemnat bei Stuttgart zum Opfer.

Bibliographie der von Dr. Gerhard Peters verantwortlich bearbeiteten Bände:

  • D 476 Spanien und Portugal, 5. Auflage/1929
  • D 33 Rheinlande, 34. Auflage/1931
  • K 251 Detmold, 1974
  • K 671 Wien und Umgebung, 1979

Gerhard Peters: Redakteur an Baedekers Reisehandbüchern 1925-1934
In "Reisen und leben" Heft 15, S. 3-10.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1987)
ISBN 3-922293-15-8


Zu diesem HeftTable of contentsAthens and its environs, 6. edition

Reproduced by kind permission of Alex W. Hinrichsen. All copyrights acknowledged.

© 2004-15 bdkr.com  

bdkr.com P.O.Box 119 Cranbrook Kent TN18 5WB United Kingdom