Reisen und leben, Heft 15 / 1987

Alex W. Hinrichsen:

Studienkonferenz: "Wegweiser in die Fremde? Reiseführer, Reiseratgeber, Reisezeitschriften", Köln 3./4.11.87

- ein Bericht -

Die Thomas-Morus-Akademie, Bensberg, veranstaltete in Zusammenarbeit mit dem Studienkreis für Tourismus, Starnberg, diese Konferenz, um "...eine Betrachtung der Reiseliteratur und die Erörterung möglicher Perspektiven in der Vermittlung von Informationen für den Urlaub" zu geben. Es waren zu einem "Erfahrungsaustausch" Autoren, Verleger, Buchhändler, Wissenschaftler, Journalisten und "Interessierte" eingeladen worden.

Da ich mich mit Reiseführern bekanntermaßen seit langem beschäftige, erwartete ich im Vergleich zu den alten Konzeptionen eine gut strukturierte Tagung, die das heutige Angebot zeigt und über die Vielfalt der Urlaubsinformation unterrichtet.

Nach der Begrüßung, in der festgestellt wurde, daß es bisher kaum Untersuchungen zu den Wünschen der heutigen Urlaubsreisenden in bezug auf die Information gibt, führte Dr. Friedrich A. Wagner, Frankfurt, in einem Vortrag zur Kulturgeschichte des Reisens die über 120 Teilnehmer in die Entwicklung des Reiseführers und des Reisehandbuches ein. In einem Streifzug von der Antike bis zur Gegenwart fanden Kunst, Kultur und Geschichte in der Reiseliteratur Erwähnung. Da der Vortrag kurz sein sollte, konnte dieser hervorragende Kenner der Materie nur schlagwortartig einiges bringen. Herrn Wagner interessieren insbesondere die Reiseführer, die als literarische Gattung unter Verzicht auf Vollständigkeit und Objektivität erscheinen. Herodot (um 500424) reiste, weil er forschte und die Begegnung mit den Menschen suchte. Pausanias - apostrophiert als "Baedeker der Antike" - hatte z.B. die Akropolis mit wissenschaftlicher Akribie beschrieben. Über die Pilgerführer, die Reisen des Marco Polo und seiner (unglaublichen) Berichte, den barocken Reisebeschreibungen des 17. Jahrhunderts und den Apodemiken kam der Vortragende zu August Ludwig v. Schlözer, der mit seinem Reise-Colleg die Kunst des Reisens mit dem Nutzen verband. Zu Recht bedauerte Herr Wagner, daß im Jahre 1987 nicht eine Vorlesung an einer deutschen Universität zu diesem Thema stattgefunden habe. Zu den Reisen des 18./19. Jahrhunderts fanden Goethe als Autor von Reiseführern und Karl Baedeker als Autor bzw. Verleger für Reisehandbücher Erwähnung. Die "Italienische Reise" unter dem Stichwort "Man mußte Rom gesehen haben..." und Karl Baedekers Idee, seine erwanderten Erfahrungen zum Nutzen Anderer in seinen Reisehandbüchern weiterzugeben waren die beiden Gegenpole dieser Zeit. Der Referent schloß damit den Vortrag, ohne nicht darauf hingewiesen zu haben, daß eine Darstellung nur fragmentarisch bleiben konnte. Seine abschließende Frage an die Zukunft des Reisens und der Information bezog sich auf neue Begriffe wie z.B. den des technischen Konsums.

Dr. Albrecht Steinicke, Privatdozent an der Universität Bielefeld, stellte eine erste Übersicht über den Reiseführermarkt vor. Der Referent trug eine Auswertung vor, die er in Zusammenarbeit mit dem Studienkreis für Tourismus (Sonderauswertung einer Leseranalyse 1985) durchgeführt hatte. Auf 32 Manuskriptseiten sind die Erkenntnisse dargelegt, die aus Platzmangel hier nicht alle aufgeführt werden können. Die einzelnen Abschnitte der Untersuchung lauteten:

1. Wer liest und benutzt Reiseführer?
2. Welches Angebot an Reiseführern gibt es? Versuch einer Marktübersicht
3. Der gute Reiseführer - Anspruch und Wirklichkeit
4. Zukunftsaussichten des Reiseführermarktes

Folgende Elemente des heutigen Reiseführers stellte Dr. Steinecke fest:

- wissenschaftliche Länderkunde - Sachbuch
- Atlas
- Bildband
- Kunstbuch/Kunstführer - Adreßbuch
- Kursbuch
- Erlebnisbericht
- Reiseerzählung
- Restaurantführer
- Hotel-/ Campingführer - Kochbuch
- Fremdenverkehrsprospekt

Der Überblick ergab eine große Zersplitterung des Angebotes, d.h. rund 120-150 Verlage mit rund 1700-2000 Titeln sind derzeit auf dem Buchmarkt. Die Reihenfolge reicht von einem Titel pro Verlag bis zu rund 350 Titeln bei den Großverlagen. Die Typologie nach anzusprechenden Zielgruppen, sprich: Reisenden, reicht vom Reiseführer "für alle" (14.3% des Angebotes) über Aktivitätsgruppen (12.5%), Interessengruppen (37.5%) zu Reiseführer für Verkehrsmittelnutzer (8,9%).

Was soll ein guter Reiseführer enthalten (der Referent hatte eine Verlagsbefragung sowie eine Auswertung von Rezensionen aus der FAZ vorgenommen):

- von kompetenten Autoren mit umfassender Länderkenntnis verfaßt
- Verständnis für andere Länder und Kulturen wecken
- sachlich informieren und die Atmosphäre des Landes vermitteln
- Zusammenhänge aufzeigen und Beobachtungen einordnen helfen
- in einem einheitlichen Stil geschrieben sein - zuverlässig sein
- eine gute Ausstattung aufweisen (handliches Format, exakte Karten, anschauliche Bilder, weiterführende Literaturhinweise, Register, gute Druckqualität)

(Mich erinnert diese Auflistung an die "guten alten" Reisehandbücher, für die diese Anforderungen selbstverständlich waren. Nur sehr wenige Verlage halten heute diesen Standard)

Im Fortgang der Tagung wurden dann in mehreren Themenblöcken die "bekannten" Reiseführer anhand von Statements vorgestellt, dann die "alternativen" Reiseführer, Informationspakete von Reiseveranstaltern und Reisezeitschriften.

Bei DuMont entstanden die Reiseführer einmal als "Abfallprodukt", beim Bruns-Verlag zählt die "anerkannte Schönheit" und für Polyglott zählt "als Seele des Reisens das Entdecken". Dr. Florian Langenscheidt zählte die Erfolgsfaktoren der Polyglottreiseführer auf: Handlichkeit, gutes Preis-/Leistungsverhältnis, Benutzerfreundlichkeit, Routenprinzip, Aktualität, Zuverlässigkeit und Richtigkeit.

Die "alternativen" Reiseführer sprechen eine ganz besondere Gruppe von Reisenden an: Die Individualisten, die ihre eigenen Wege gehen wollen und die mit dem Reisen oft etwas Anderes verbinden, als Erholungstourismus oder Massentourismus.

Eine Checkliste zur inhaltlichen Beurteilung wurde von Frau Tütting vorgelegt. Sie unterscheidet in einer Positiv-Liste und in einer Tabu-Liste Kriterien für Reiseempfehlungen, die zeigen, daß Reisen auch gedanklich/planerisch im Sinne des zu bereisenden Landes vorbereitet werden sollten. Einige Punkte aus dieser Checkliste:

- Positiv: Respekt gegenüber dem Gastland, keine Mißachtung der einheimischen Wertmaßstäbe, Alltag und Gesellschaft, ausführliche Verhaltenstips
- Tabu: Schnorrertips (Reisen ohne Geld), illegale Tips, Schwarzmarkt, Drogen, diskriminierende Bezeichnungen.

Der zweite Tag dieser Veranstaltung zeigte auf, wie heute von großen Veranstaltern der Massentourismus informatorisch gesteuert wird. Der Reiseveranstalter bestimmt die Auswahl der Literatur, er kalkuliert den Aufwand in die Preise ein und er betätigt sich damit meinungsbildend. Ein übriges leisten dann noch die Reisezeitschriften wie GEO oder MERIAN, die im Abonnement die Welt billiger frei Haus liefern.

Der erste Tag war informativ, um einen ungefähren Überblick der Angebotsstrategien zu bekommen. Es gelang nicht, den Touristen, sprich: Den Verbraucher an den Tisch der Diskussion zu bringen. Die Vertreter der Deutschen Verbände für den Tourismus fehlten vollständig, somit blieb die Veranstaltung eine in sich geschlossene Gesellschaft, die sich nicht immer in der Diskussion 'fein' benahm. Der Kampf um Marktanteile und unverlangte Statements über die Verwendung bestimmter Produkte ließen den Beobachter doch manchmal erstaunen. Fragen, wie z.B., ob die produzierten Bücher und Broschüren und Hefte versuchen, den Reisenden in eine den Verlagen genehme Abnehmerposition zu bringen, wurde nicht diskutiert. Dagegen breiteten sicherlich nicht ganz unbekannte Journalisten in aller Öffentlichkeit ihre Unzufriedenheit mit sich, mit anderen und mit Verlagen aus, daß es peinlich zu werden drohte. Diese Journalisten sind dann immer oft allzugerne bereit, große Reisen auf Kosten der Veranstalter zu machen, um einen Bericht zu schreiben, der nicht immer sachlich informiert. Abgeklärtheit und Sachverstand wie ihn z.B. Dr. Wagner hat, ist nicht oft zu finden.

Alex W. Hinrichsen: Studienkonferenz: "Wegweiser in die Fremde?"
In "Reisen und leben" Heft 15, S. 31-34.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1987)
ISBN 3-922293-15-8


Das kleine LogbuchTable of contentsReisen im Alter

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