Reisen und leben, Heft 18 / 1989

Alex W. Hinrichsen:

Beginn des Tourismus in Deutschland nach 1945

Anläßlich des 2. Symposiums zur Tourismusgeschichte am 2.12.88 am Institut für Tourismus in Berlin hatte H. W. Prahl Phasen der touristischen Entwicklung nach 1945 vorgestellt. Ich stelle nun in diesem Zusammenhang eine Dokumentation zusammen, die die erste Entwicklung im Weserbergland berücksichtigen wird. Als Vorgeschmack, unter welchen Bedingungen die Wirtschaft - hier der Tourismus - anfangen mußte, darf ich aus zwei Dokumenten den Lesern nachstehend einen Einblick geben.

Der eigentliche Tourismus als Erholungsverkehr war in den letzten Kriegsjahren immer mehr durch die Kriegsereignisse und durch Mangelerscheinungen zurückgegangen. Maximal zwei Wochen durfte sich der deutsche Bürger von seiner Heimatadresse entfernen; viele Hotels waren für Soldaten und Schulungsräume zweckentfremdet, soweit sie nicht Bombenangriffen zum Opfer gefallen waren. Nach Kriegsende wurden die vorhandenen Häuser von den Besatzungsmächten beschlagnahmt; im Weserbergland wurde ein Hotel erst Ende der 70er Jahre (!) wieder für den zivilen Gebrauch einem privaten Investor übergeben (Ith-Hotel, Holzen bei Eschershausen). In diesem Hause wohnten in den Jahren bis 1945 Fluglehrer, die in der nebenan gelegenen Fliegerschule arbeiteten. Es sind die Dokumente erhalten, mit denen zwei dieser Lehrer beim zuständigen Landrat für ihre Frauen eine längere Aufenthaltserlaubnis als für zwei Wochen beantragten. Dabei spielte es eine Rolle, daß sie nachweisen konnten, daß durch die Ehefrauen kein zusätzlicher Raum beansprucht wurde, da diese mit ihren Männern in für die Lehrer requirierten Doppelbettzimmern wohnen konnten.

Am 16. Juni 1945 richtete Heinrich Meyer-Hermann eine Denkschrift zur Entwicklung des Tourismus in Hameln an den Landrat des Kreises Hameln-Pyrmont sowie an den Oberbürgermeister der Stadt Hameln. Heinrich Meyer-Hermann war der langjährige Vorsitzende des Fremdenverkehrsverbandes vor 1933 sowie der Inhaber der von seinem Vater Senator Friedrich Wilhelm Meyer im Jahre 1883 gegründeten Oberweserdampfschiffahrts-Gesellschaft gewesen.

Nachstehend einige Auszüge:

"Der durch den Krieg mit seinem schlimmen Ausgang notwendig gewordene neue Auftrieb des wirtschaftlichen Lebens in Deutschland erfordert, daß jeder Landesteil seine von der Natur gegebene Entwicklungsmöglichkeit ausnutzt... .wohl aber kann es sich auf einem Gebiet entwickeln, für das eine besondere Grundlage vorhanden ist, nämlich auf dem des Fremdenverkehrs. Die mit ihm hereingebrachten Gelder fließen in alle Kanäle.... Das Weserbergland hat in Deutschland mit die schönsten und ruhigsten Gebirgswälder. Und durchflossen vom schiffbaren Weserstrom kann es nur mit dem Rheinland und der Sächsischen Schweiz in Vergleich gezogen werden... Es muß Ziel der Bewohner unseres Weserberglandes sein, diesen erfolgreichen Verband, der leider nach dem politischen Umbruch von 1933 aus den Fugen gebracht war, wieder neu zu organisieren...".

Schon zehn Tage später antwortet der Oberbürgermeister, daß er die Angelegenheit wegen anderer dringender Angelegenheiten noch nicht für spruchreif hält. Man machte sich aber trotzdem daran, Ausflugsschiffe wieder flott zu machen. Heinrich Meyer-Hermann hatte in allen seinen Bemühungen seinen Schwager, Stadtbaurat a.D. Bernhard zur Seite. In einer Zusammenfassung vom November 1948 hört sich der Beginn wie folgt an:

"Nach der Kapitulation von 1945 war der Schiffspark der Oberweser-Dampfschiffahrt fast völlig vernichtet. Die im Hafen von Hameln liegenden Fahrgastschiffe waren durch Artilleriebeschuß so beschädigt worden, daß sie fast restlos auf Grund lagen. Nur das kleinste Schiff der Gesellschaft, das Motorschiff "Stint", war, abgesehen von kleineren Beschädigungen, die ihm durch wildfahrende Angehörige der Besatzungsmächte zugefügt wurden, erhalten geblieben. Es wurde sofort zum Fährdienst über die Weser anstelle der gesprengten Hamelner Weserbrücke eingesetzt....

Bis zum Juni 1946 gelang es, die beiden Dampfer "Kaiser Wilhelm" und "Kronprinz Wilhelm" sowie das Motorschiff "Forelle" auf eigener Werft wieder fahrfertig zu machen. Zu diesem Zeitpunkt wurde die Oberweser durch die Beseitigung der Brückentrümmer wieder schiffbar, so daß die Oberweser-Dampfschiffahrt ab Mitte Juli 1946 einen geregelten Fahrplan wieder aufnehmen konnte. Der Zustrom an Fahrgästen war groß, wenn auch die Leistung der Firma in Bezug auf Bequemlichkeit, Ausstattung der Schiffe und Bewirtschaftung weit hinter dem früher gewohnten Ausmaß zurückblieb... Mit diesen Schiffen (insgesamt 6 bis dahin, Anm. der Red.) wurde im Sommer 1947 eine Rekordsaison seit Bestehen der Oberweser - Dampfschiffahrt abgewickelt. Die Zahl der beförderten Personen erreichte fast eine Million. ...

In den Wintermonaten wurde mit einem Schiff ein Stückgut- und Personenverkehr mit einer wöchentlichen Verbindung zwischen Hann. Münden und Minden durchgeführt, der seitens der Städte und Kreise an der Weser sehr begrüßt wurde."

Im März 1947 wurde wieder ein Vorstoß unternommen, den alten Fremdenverkehrsverband aufleben zu lassen. Nun hatten die Städte und Kreise das Interesse, mitzumachen - auch Hameln. Im September 1947 wurde dieser Verband mit dem Namen "Verkehrsverband Weserbergland" gegründet. Damit war die organisatorische Grundlage geschaffen worden, für das Gebiet gemeinsam nach außen zu werben und sich anderen gegenüber vertreten zu lassen.

Reiseführer aus der jüngsten Nachkriegszeit sind sehr selten - auch für das Weserbergland. 1947 bearbeitete das Göttinger Reisebüro von Ernst Kelterborn einen kleinen "Führer für Heimatfreunde: Das schöne Oberwesertal" (8 S. plus Papierumschlag). Im Mai 1949 kam ein weiterer kleiner Reiseführer heraus: "Das schöne Weserbergland" von Herbert van Dam. Im Vorwort schreibt er: "In der klaren Erkenntnis, daß die Menschen in den zerstörten Städten ... nach der Natur hungern, habe ich das Weserbergland ... gewählt.

Man nutzte die alten Reiseführer und Karten, soweit Bedarf da war. Erst als sich die Möglichkeiten der Beherbergung wieder verbesserten, konnten Touristen für längere Zeit im Weserbergland bleiben. Die Währungsreform hatte 1948 einen starken Einschnitt gebracht (in der Ausflugsschiffahrt waren es nur noch 10% der Passagierzahlen im Vergleich zu 1947). Ab 1949 wurde dann mit "gutem Geld" der Ausbau der Fremdenverkehrswirtschaft vorangetrieben. Dazu gehörte von Verbandsseite die Herstellung von Prospekten, die in Zusammenarbeit mit überregionalen Organisationen vertrieben wurden.

Aber noch 1950 machte sich der Bundespräsident, Prof. Dr. Theodor Heuß, auf dem ersten Deutschen Fremdenverkehrstag in Bonn Sorgen, ob ein Aufschwung des deutschen Tourismus zu erwarten sein könnte. Er sagte als Abschluß seiner Rede, daß der Verkehr der Fremden ein Verkehr der Freunde werden müsse.

Das Weserbergland stand in seiner ersten Nachkriegsentwicklung an vorderster Stelle um das Bemühen einer wirtschaftlichen Entwicklung. Dieses hing mit den Persönlichkeiten zusammen, die vor 1933 schon sehr engagiert die Werbetrommel - verbunden mit bester Leistung - für ihre Heimat rührten. Aber bald wuchs die Konkurrenz des durch sich mehrenden Wohlstandes möglichen Reisens in billigere und fernere Länder. Dabei wurde oft der Anschluß an die neuen Entwicklungen verpaßt, so wie es im vorigen Jahrhundert der Postkutsche ging, als die Eisenbahn wettbewerbsfähiger wurde.

Alex W. Hinrichsen: Beginn des Tourismus in Deutschland nach 1945
In "Reisen und leben" Heft 18, S. 18-20.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1989)
ISSN 0936-627X


Iwan Tschudi und die GasthofsternchenTable of contentsGeschichte des Reiseberichts

Reproduced by kind permission of Alex W. Hinrichsen. All copyrights acknowledged.

© 2004-15 bdkr.com  

bdkr.com P.O.Box 119 Cranbrook Kent TN18 5WB United Kingdom