Reisen und leben, Heft 22 / 1991

Julia Keay

Mehr Mut als Kleider im Gepäck

Frauen reisen im 19. Jh. um die Welt - eine Rezension von H. Krohn

Kaum hundert Jahre ist es her, daß das weibliche Geschlecht die Grenzen des ihm von jeher zugeordneten Bereichs von Haus und Familie überwinden und rundum in bis dahin sorgsam von der Männerwelt gehüteten Bastionen einbrechen konnte. Sich über die Grenzen des eigenen Landes in die weite Welt hinauszuwagen, auch das war von jeher so eine Domäne der Männer gewesen. Dabei mochte auch maßgebend gewesen sein, daß nach damaliger Vorstellung die Umstände von Transport und Unterbringung dem zarten Geschlecht nicht zuzumuten waren. Sicher spielten dabei auch Vorurteile eine Rolle, konnte doch noch 1828 Johanna Schopenhauer über ihre Postkutschenreise von Köln nach Aachen schreiben: "Gerne wären wir mit dem Eilwagen nach Aachen gefahren, in Köln aber dürfen Damen, der lieben Schicklichkeit wegen, dieses nicht wagen."

Gingen Damen aber solches Wagnis ein, dann waren sie meist in männlicher Begleitung, auch wenn sie in ihren dann nach Heimkehr verfaßten Reiseberichten dies nur nebenher erwähnten. Nicht nur die gute Schopenhauer durchzog so schriftstellernd die Lande, vor allem auch Engländerinnen taten sich in diesem Genre hervor. Da machte etwa Lady Morgan Aufsehen mit ihrem Werk über Italien, dem dann kein Geringerer als Heine in seinen Reisebildern hohes Lob zollte: "Nächst Goethes italienischer Reise, ist Frau von Morgans "Italien"... zu empfehlen." Oder Frances Trollope, die im Biedermeier mit ihrem Familientroß Deutschland, Österreich und später auch die Vereinigten Staaten durchzog und deren geistreiche Reiseberichte sich heute noch mit Vergnügen lesen lassen, man denke nur an ihre drastisch-komische Schilderung einer unheimlichen Übernachtung in einem bayerischen Gasthaus. Von einem anderen Kaliber war da schon die jetzt fast vergessene Wienerin Ida Pfeiffer, die um die Mitte des 19. Jahrhunderts als wohl erste Frau allein die Welt umreiste und dabei auch in bis dahin kaum erschlossene Gebiete vorstieß.

Von einem anderen Kaliber waren aber auch eine ganze Reihe reisender Engländerinnen, die sich im viktorianischen Zeitalter in seinerzeit nur wenig bekannte Gegenden des Erdballs vorwagten. Mehr als ein halbes Dutzend dieser "travelling Ladies" schildert Julia Keay in ihrem jetzt bei Scherz in deutscher Übersetzung erschienenen Buch: "Mehr Mut als Kleider im Gepäck."

Eines ist dabei verblüffend. Bei fast allen reisenden Damen war die Reise selbst gar nicht der Hauptzweck ihres Unternehmens; meist ging es nur darum, ein ganz bestimmtes und weit entlegenes Ziel zu erreichen. So etwa Emily Eden, die mit ihrem Bruder, der britischer Generalgoverneur von Indien war, und einem vielhundertköpfigen Troß den Subkontinent durchzog oder Anna Leonowens, die vom König von Siam als Erzieherin seiner Kinder engagiert wurde und deren Schicksal, freilich romantisierend verfälscht, später zu Musical- und Filmehren kommen sollte.

Um das Reiseerlebnis selbst ging es da wohl eher Amalie Edwards, doch gab es dabei kaum mehr neues zu entdecken. In jenen Jahren hatte die touristische Erschließung Ägyptens bereits begonnen und auch Amalia Edwards konnte bei ihrem Unternehmen schon Murray's "Handbook to Lower and Upper Egypt" heranziehen. Mehr schon in Neuland bewegte sich da in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg Gertrude Bell, die die arabische Halbinsel durchstreifte und deren Wüstenfahrt später vom Präsidenten der "Royal Geographical Society" als Pioniertat gewürdigt werden sollte.

So richtig lesenswert wird das Buch aber durch die Beschreibung der Schicksale der verbleibenden drei "Lady Travellers". Da ist Kate Marsden, die 1890 das zaristische Rußland bis in das entlegenste Sibirien durchreist, um sich dort der Leprakranken anzunehmen, die alleingelassen und von der Gesellschaft verstoßen in unvorstellbarem Elend vegetierten. Oder Daisy Bates, die 1899 im Auftrag der Londoner "Times" allein mit dem Planwagen den Norden Australiens durchquert, um dort in abgelegenen Farmen wegen der angeblichen Mißhandlung eingeborener Arbeiter zu recherchieren. Wenn sie dabei auch keine groben Mißstände feststellen kann, beschließt sie, dort fortan ihr Leben der Betreuung der Urbevölkerung des Landes zu widmen. Meist im Pferdewagen durchstreift sie nun allein das Land und lebt unter den Eingeborenen:

"Sie setzte sich mit ihnen im Busch nieder und hörte zu, wenn sie sich bemühten, ihr Elend zu schildern. Entsetzt stellte sie fest, daß sogar diejenigen, die den Seuchen des weißen Mannes wie Masern, Keuchhusten, Grippe und Syphilis entkommen waren, manchmal einfach am gebrochenen Herzen starben."

Lange Zeit erfährt sie von der weißen Bevölkerung keine Würdigung ihrer Arbeit, man begegnet ihr mit Mißtrauen oder gar Verachtung, für viele ist sie "die Frau, die mit den Schwarzen lebt." Fast bis zu ihrem Tod, sie sollte einundneunzig Jahre alt werden, bleibt Daisy Bates ihrer selbst gewählten Aufgabe treu. Noch mit achtzig Jahren eröffnet sie ein neues Camp für Ureinwohner, ein Jahr wartet sie dort vergeblich, daß ihre Schützlinge sich niederlassen. Schließlich muß sie erkennen, daß die Verlockungen der großen Städte gesiegt hatten und ihr Werk damit gescheitert war. "Traurig, heimatlos und von der Zeit überrollt", so hatte sie oft die Aborigines beschrieben. Julia Keay meint am Ende ihrer Schilderung, "dieselben Worte treffen mit all der darin enthaltenen Verzweiflung und Bitterkeit auch auf Daisys letzte Jahre zu."

Das Buch schließt mit einer, leider viel zu knappen Darstellung der Reisen von Alexandra David-Neel, der es Anfang dieses Jahrhunderts gelungen war, auf abenteuerlichen und gefahrvollen Wegen nach Lhasa, der verbotenen Stadt, zu gelangen. Bei einem Studienaufenthalt in Ostasien hatte sie in Darjeeling den dort im Exil lebenden Dalai-Lama kennengelernt und war auch vom Kronprinzen von Sikkim empfangen worden. Ihr Denken fühlt sich nun mehr und mehr dem tibetischen Buddhismus verbunden, eine Reise nach Lhasa wird zu ihrem Lebensziel; für einen Europäer, noch dazu eine Frau, damals eine absolute Unmöglichkeit. Wir erinnern uns, noch 1903 war Sven Hedin bei seinem Versuch, Lhasa von der Mongolei aus zu erreichen, am Widerstand tibetischer Soldaten gescheitert. Alexandra David-Neel geht bei der Erfüllung ihres Lebenstraums mit Geduld und Hartnäckigkeit ans Werk. Sie nimmt sich eines tibetischen Jungen an, der mit fünfzehn Jahren bereits den Rang eines Lamas besitzt, gewinnt sein Vertrauen und adoptiert ihn schließlich. Über Jahre hin macht sie sich mit der Landessprache vertraut. 1923 bricht sie dann mit ihrem Adoptivsohn vom südlichen China aus zur großen Reise auf. Nach langem und mühsamem Fußmarsch, der sie durch Geröll und Schnee und über sechstausend Meter hohe Gebirgspässe führt, erreichen die beiden Pilger Lhasa, unsere Reisende ist am Ziel ihrer Träume. Befriedigt meint sie:

"Da ich nun einmal die erste Frau zu sein schien, der es gelungen war, sich den Weg zu alldem zu bahnen, was Lhasa an Schönheit und Eigenart aufzuweisen hat, war das nicht mehr als mein gerechter Lohn für alle Strapazen der Reise."

Hier bei Alexandra David-Neel, aber auch bei der einen oder anderen der "travelling Ladies" hätte man gern noch etwas mehr über die reiselustigen Damen erfahren. In der unvermeidlichen Straffung des Textes bleibt das Buch von Julia Keay so vor allem ein Appetitmacher, der anregt, noch weiter in die fesselnde Materie einzusteigen. Das dem Buch beigegebene Literaturverzeichnis könnte hierzu eine wertvolle Hilfe sein.

Julia Keay: "Mehr Mut als Kleider im Gepäck. Frauen reisen im 19. Jahrhundert um die Welt." 1990. Scherz Verlag, Bern, München, Wien. DM 34

Julia Keay: Mehr Mut als Kleider im Gepäck
In "Reisen und leben" Heft 22, S. 11-13.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1991)
ISSN 0936-627X


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