Reisen und leben, Heft 24 / 1992

Baedeker-Imitationen

von Paul L. Feser

Der Verlag Baedeker als Herausgeber der meistverbreiteten und am gründlichsten bearbeiteten Reisehandbücher diente unfreiwillig öfters als Anstoß und Vorbild anderer Reihen wie "Meyer" oder "Grieben", "Conty", "Touring Club Italiano" usw. Auf der Erfolgswelle der klassischen roten Bände ritten ganz unverblümt einige Verleger, welche sogar den typischen Baedeker-Einband in Farbe, Material, Aufdruck in Goldschrift, Marmorierung im Schnitt, Verwendung derselben Schrifttypen (inkl. Kleindruck-Texte!), gelbes Vorsatzpapier und weitere Details offenbar ungestraft nachahmten. Es wäre immerhin interessant von Forschern zu erfahren, ob und wie das Haus Baedeker auf solche Imitate reagiert hat. Für den Sammler von Reiseliteratur eröffnet sich aber auch ein reizvolles (weil auch preislich noch nicht ausgereiztes) Spezialgebiet.

Ohne meinem Baedeker-Steckenpferd untreu zu werden, habe ich so im Verlaufe der Zeit auch einige rote Bücher der Konkurrenz zusammengetragen. Auf drei davon möchte ich hier kurz hinweisen. Vielen wird sicher die heute ebenfalls schon gesuchte Reihe "Hartleben's Illustrierte Führer" geläufig sein. Verleger A. Hartleben in Wien und Leipzig (früher auch Pest) hat wohl als erster den Trumpf der fotografischen Illustration ausgespielt, vor dem sich Baedeker hütete, denn die Reproduktionstechnik war mangelhaft und die ganzseitigen Abbildungen nahmen viel Platz weg; zudem war die Auswahl oft genug Ermessenssache. Von den gut 200 Seiten des mir gerade vorliegenden Bandes "Führer durch Triest", 5. Auflage (1904), entfallen volle 81 auf die nicht gerade überzeugenden Bilder, einige davon sogar doppelseitig (diese nicht paginiert). Das Kartenmaterial von Freytag & Berndt kommt nicht an Wagner & Debes (Baedeker) heran. Mit seinen oft etwas geschwätzigen Autoren wie Meurer, Rabl, Heksch, Oberosler bearbeitete Hartleben namentlich den südeuropäischen Raum. Hier war er mit manchen Regionalbänden, die einem Bedürfnis der Touristen und Geschäftsreisenden entsprachen, erfolgreich. Nützlich waren zweifellos auch die beigegebenen "Sprachlichen Behelfe". Der Stand der Reihe belief sich anno 1904 auf beträchtliche 55 verschiedene Bände, wovon "Wien" auch französisch und englisch. Es finden sich Titel wie: "Karpathen", "Kärnten", "Böhmen", "Dolomiten", "Ungarn", "Bosnien-Hercegovina", aber auch Italien in 3 Bänden, ferner "Schweiz", "Spanien und Portugal" und sogar "Rheinlande" und "Württemberg". Bei den letztgenannten Bänden dürfte es sich um ziemliche Raritäten handeln. Vielleicht vermittelt mir jemand gelegentlich auch den Band "Die bosnische Ostbahn", von einer reisefreudigen Dame verfasst namens Milena Preindlsberger-Mrazovic. Mit der Abgrenzung der Regionen nahm es Hartleben nicht immer so genau; im Band "Dalmatien", der es 1915 sogar noch zu einer 11. Auflage brachte, finden wir beispielsweise gar eine Beschreibung von Athen, aber die weltberühmte Adelsberger Grotte im nahen Hinterland von Istrien suchen wir vergebens. Inserate tauchen zwar schon im ersten "Karpathen"-Führer 1881 auf, fehlen aber in den meisten Bänden über einen langen Zeitraum. Gibt es einen Baedeker "Mexico"? Nein, denn was ganz genau wie ein "Baedeker" aussieht, entpuppt sich in der Goldschrift als "Terry's Guide to Mexico. Die 4. Auflage, die vor mir liegt, datiert von 1931, die Erstausgabe war 1909, als Verfasser zeichnet T Philip Terry, als Verleger die Houghton Mifflin Company in Boston und New York. Nebst Mexico gab es (laut Reklamebeilage) auch "Terry's Guide to Cuba" und "Terry's Guide to the Japanese Empire" sowie Sprachführer. Der Band "Mexico" ist volle 870 Seiten stark (inkl. einige Inserate), "Japan" sogar 1080 Seiten. Die Werbung nahm bewußt Bezug auf das imitierte europäische Vorbild: "Baedeker Model. Pocket Size. Bible Paper. Historical. Descriptive. Practical. Trustworthy. Useful." In der Tat, Terry gehört zu den wenigen Reisehandbücher, die es in all diesen Punkten mit Baedeker aufnehmen konnte. Das sind ganz erstaunliche Fleißwerke, unendlich die Fülle von kleingedruckten Erläuterungen, zum Nachschlagen heute so geeignet wie damals. Der einleitende Teil - mit Kapiteln von Töpferei bis Stierkampf - umfaßt allein 249 (römisch paginierte) Seiten!

Eine kundige Feder entdeckte auch im wenig besuchten Lande Rumänien eine von Baedeker nur am Rande abgedeckte Marktlücke. So entstand 1928 im typischen roten Gewande, mit Prägung und Goldtitel, der Führer "Bucarest et ses environs" von Olga N. Greceano. Einleitend hebt die Autorin hervor, daß es sich hier um den einzigen existierenden Bukarest- Führer handle. Auf 240 Seiten und 12 Plänen wird die Stadt eingehend geschildert, durchdrungen von einem lebhaften Nationalgefühl. Unter den vielen nützlichen Auskünften finden sich nicht nur die Adressen der Vertreter von 39 Automarken, sondern auch ein nach Wild und Monat gegliederter Jagdkalender und beim Hôtel Athenee Palace der Hinweis, daß die städtische Übernachtungsausgabe pro Person 10 Lei betrage, für die (offenbar ungeliebten) Ungarn aber 50 Lei...

Von den selteneren und etwas leichter unterscheidbaren Baedeker-Trittbrettfahrern seien - von vielen! - hier noch zwei genannt: Das Reisehandbuch "Kärnten" von Dr. Gustav Zoepfl, Klagenfurt 1906, 656 Seiten, sowie "Steiermark" von Karl W. Gawalowski, Graz 1914. Auch der so überaus produktive "Kgl. u. kais. Hofbuchhändler" Leo Woerl in Würzburg und München, der sich hauptsächlich auf Städtemonographien zu 50 Pfennig verlegte, begann einst mit verführerisch roten Prägepappbänden.

Paul L. Feser: Baedeker-Imitationen
In "Reisen und leben" Heft 24, S. 17-18.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1992)
ISSN 0936-627X


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