Reisen und leben, Heft 16 / 1988

Alex W. Hinrichsen:

Entstehung eines Reiseführers am Beispiel von 'Hamburg' 1951 und 'Detmold' 1974.

Die Reiseführer des Baedeker-Verlages sind in den Jahrzehnten ihres Entstehens so vielfältig, daß eine Regel bei der Herstellung kaum genannt werden kann, bis auf die Sorgfältigkeit der Inhaltsvermittlung und der Qualität der Herstellung.

In diesem kurzen Referat soll daher an zwei Stadtführern der Zeit nach 1945 einiges anhand von authentischen Daten aufgezeigt werden. Diese Zeit war die Zeit der Verlagsführung durch Karl Friedrich Baedeker, der im Jahre 1979 viel zu früh starb.

Karl Baedeker hatte als Verleger sich auch um Mitarbeiter für seine Bände bemüht, denn ein umfangreiches Programm konnte nur von mehreren geschafft werden (Für diese Zeit habe ich eine Liste der wichtigsten Mitarbeiter zusammengestellt, die im Anhang zu finden ist).

Für 'Hamburg' arbeiteten Otto U. Brandt und Kurt Eitner mit, die heute im Ruhestand in Hamburg und Pinneberg leben.

Im Juni 1949 meinte KB (= Karl Friedrich Baedeker) gegenüber Herrn Brandt, daß er sich wohl nun an die redaktionellen Gepflogenheiten gewöhnt habe, um in der Abstimmung ein verwendbares Manuskript zu liefern. Im Juli schreibt z.B. KB zu dem Brandt'schen Manuskript: "Beiliegend schicke ich Ihnen die Abschrift Ihres MS,..Wundern Sie sich nicht, daß ich vieles verändert habe. Das ist bei unserer Redaktionsarbeit immer so. Der erste Redakteur hat am meisten mit den materialen Schwierigkeiten zu kämpfen, der zweite ist davon weniger behelligt und kann sich mehr auf die Formalien der Anordnung und auf die Siebung des Materials konzentrieren."

Dann kommen Anweisungen zur Arbeitsteilung und der Hinweis, daß neben dem Arbeitsexemplar des Herrn Brandt noch zwei weitere Kopien existieren, um sich anhand der gleichlautenden Manuskriptvorlagen immer schnell verständigen zu können.

Aber auch der Verleger ließ sich Korrekturhinweise vom Redakteur geben, wie einen Monat später ausgesagt wird: "Meinen besten Dank für die sorgfältigen Korrekturen zu meiner Textfassung. Ich habe sie fast alle eingearbeitet, wo nicht, habe ich eine Bemerkung an den Rand gemacht." Reine Schreib-, Satz- oder stilistische Fehler wurden sogleich berichtigt.

KB hat aber Befürchtungen, daß der Hamburg-Band zu umfangreich werden könnte, deshalb warnt er: "Holen Sie nicht zu weit aus. Diese Gefahr ist bei unserer Arbeit immer gegeben. Das Bändchen wird ja nicht so dick, wenn auch etwas stärker als STUTTGART" ('Stuttgart' hatte 96 Seiten und bei 'Hamburg' wurden es dann 424 Seiten).

Es war ja nicht nur darum getan, ein Manuskript zu verfassen, sondern sich zuerst einmal über die Gliederung klar zu sein, und dann Material und aktuelle Daten zu bekommen. Dazu gehörte es auch, alle schriftlichen Unterlagen über die Geschichte dieser Stadt zusammenzutragen, bei Konkurrenzreiseführern Vergleiche anzustellen, Briefe an alle Dienststellen der Stadt wegen Öffnungszeiten, Hotelverzeichnissen, stadtgeographischen Angaben, Laufzeiten der Verkehrsmittel, Museen, Parkanlagen, statistischen Daten, um nur einige zu nennen, zu schreiben, anzurufen, nachzufassen, wenn die Antwort unbefriedigend blieb.

Nach der Erarbeitung eines Manuskriptes mußte alles nochmals gesiebt werden und zeitgemäß ausgerichtet werden, wie es die Richtlinie des Verlages erforderte. KB beschrieb dieses wie folgt:

"Natürlich ist der Text viel zu lang. Der Inhalt muß konzentriert, das überflüssige quasi verdampft werden. Ich habe aber den Eindruck, daß alles, was Sie sagen, gut fundiert ist... Es scheint mir wichtig, daß wir das heutige Aussehen einer Straße oder eines Platzes zuerst beschreiben, dann erst in die Geschichte zurückgehen..."

Der Text wurde also durchgearbeitet und gekürzt und dann wieder an den Redakteur gesandt.

Machen wir bei der Herstellung einen großen Sprung von Oktober 1949 auf November 1950. Die Hamburger Wirtschaftsbehörde teilte mit, daß sie sich nicht mit der Übernahme einer Teilauflage und auch nicht mit der Zurverfügungstellung eines Kredites für die Drucklegung des Führers zu beteiligen gedenke. Deshalb wurde dann entschieden, Anzeigen zur Mitfinanzierung des Bandes aufzunehmen.

Eine andere redaktionelle Arbeit band dann noch zeitweise die ganze Arbeitskraft von KB: Die eigene Erarbeitung des Stadtführers von Frankfurt/Main, der dann zur Automobilausstellung im April 1951 auf den Markt kam.

Im Oktober 1951, 2 1/2 Jahre nach dem Beginn der Redaktionsarbeit, erschien dann endlich der Band während der Hamburger Buchwoche. KB bedankte sich bei Herrn Brandt für die "liebevolle Mitarbeit".

Neben den umfangreicheren Bänden, wie z.B. 'Ruhrgebiet', wurden ab 1963 die kurzen Stadtführer mit einem Band über Kiel eingeführt. In Stuttgart waren die Autoreiseführer für deutsche Teillandschaften und für europäische Länder geschaffen worden. An einem solchen Autoreiseführer, und zwar an dem über Spanien, arbeitete auch Dr. Gerhard Peters mit. Dr. Peters war schon im früheren Verlag in Leipzig Redakteur gewesen. Sein letztes großes Werk war der Spanien-Führer von 1929 gewesen. Nun bat ihn auch KB, zu versuchen, ein Bändchen über Detmold zu bearbeiten. Dr. Peters lebt in Detmold und hatte damals als Leiter der Volkshochschule Zugang zu den städtischen Behörden. Die ersten Überlegungen stammten von April 1970. Zur Finanzierung der Grundkosten war vorgeschlagen worden, daß die Stadt 3000 Stück zu einem Vorzugspreis bestellen sollte. Die angestrebte Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung bzw. dem örtlichen Verkehrsamt hatte einen handfesten Hintergrund: "Der Buchhandel nimmt von derartigen Führern nicht genug auf, weil die Reisenden nicht in die Buchhandlungen gehen. Die Reisebüros befassen sich nicht gern mit dem Verkauf von Führern. Bleibt also nur die Zusammenarbeit mit den Städten selbst. Wenn eine Stadt einmal einen Baedeker bestellt hat, so bleibt sie interessiert, daß er immer wieder neu kommt, und betrachtet ihn als eines ihrer Werbemittel."

Die Stadt zeigte sich nicht interessiert.

Im September 1972 fragte KB Herrn Dr. Peters nochmals nach einer Realisierungsmöglichkeit. In dieser Anfrage schrieb KB, daß die Gestehungskosten in der ersten Auflage nicht gedeckt werden können. Sie setzen sich zusammen aus Erstkosten für die Redaktion, die Kartographie, die Zeichnungen und den Satz. Bei einem Ladenpreis von DM 3,80 wurde mit einer sofortigen Abnahme durch die Stadt der oben erwähnten 3000 Exemplare kalkuliert. Anzeigen wurden zu einem Preis von DM 300,-- für die ganze Seite und DM 160,-- für die halbe Seite eingerechnet (maximal 8 Seiten). Als Redakteurhonorar wurden DM 1200,-- bis DM 1500,-- veranschlagt.

Die Stadt Detmold gab im Dezember 1972 eine Bestellung auf, so daß Dr. Peters mit der Arbeit am Manuskript beginnen konnte. Drei Monate später vermeldete er: "Das Manuskript 'Detmold' ist im großen und ganzen fertig. Es bedarf nur noch - wie es immer im Hause Baedeker in Leipzig hieß - einiger "entsagungsvoller Kleinarbeit", d.h. zahlreicher Nachprüfungen in den Details. Wahrscheinlich ist mein Text zu lang geworden."

Der Text war auch zu lang, deshalb beschrieb KB, wie man mit drei verschiedenen Schriftgrößen noch einiges ausgleichen könnte. Darüber hinaus wurde festgelegt, wieviele Pläne und Zeichnungen in dem Band zu sein hatten. Es sollten sieben Pläne bzw. Reproduktionen nach alten Vorlagen und 15 Skizzen sein.

Da das Manuskript 65 Schreibmaschinenseiten umfaßte, das nicht auf 40 Druckseiten untergebracht werden konnte, wurde die Stadt gebeten, einen Teil der höheren Kosten mit aufzufangen. Sie erklärte sich bereit, statt der 3000 Stück nur 2400 zum vereinbarten Preis geliefert zu bekommen. Man hoffte im Verlag, die vorgesehene Druckauflage darüber hinaus absetzen zu können, da auch die Detmolder Bürger an einem Erwerb interessiert sein könnten (heute hat die Stadt kein Exemplar mehr zur Verfügung; auch im Buchhandel ist der Band vergriffen). Auch die Aufnahme von Anzeigen wurde zur Mitfinanzierung beschlossen (was nicht als grundsätzliche Regel anzusehen war).

Im Juli 1973 waren die Druckfahnen, die Karten und Pläne fertiggestellt. Im Oktober desselben Jahres waren dann Korrektur und Umbruch fertig. Trotzdem dauerte es noch bis zum Februar 1974, bis der Band ausgeliefert werden konnte. Z.B. spielte die Anzeigenakquisition eine entscheidende Zeit- und Finanzierungsrolle. Die 5 1/2 Seiten brachten ganze DM 1.464,-- (zu gleicher Zeit betrug das Anzeigenaufkommen im Band über Rendsburg 15 1/2 Seiten). Am 5. Februar 1974 bedankte sich KB ganz herzlich bei Herrn Dr. Peters für die geleistete Arbeit.


Redakteure:

Karl Baedeker (KB), Eva Baedeker, Florian Baedeker; Otto U. Brandt, Kurt Eitner, Dr. Gerhard Peters, Karl Pomplun; Dr. Walther Baedeker, H.A. Piehler (englische Übersetzungen), Dr. Margarethe Bessau, Prof. Greiss, Dr. Peter Baumgarten, Frau Thekla Lepsius, Oskar Steinheil, Dr. Borgwardt, und viele andere für einzelne Bände.

Arbeiten von Otto U. Brandt: Hamburg, Bremen-Bremerhaven, Celle, Kiel, Lübeck, Lüneburg.

Arbeiten von Kurt Eitner: Hamburg, Köln, Köln und Rheinlande, Cologne/Bonn, Ruhrgebiet, Tirol, Tyrol and Salzburg.

Arbeiten von Dr. Gerhard Peters nach 1945: Detmold, Wien.

Arbeiten von Karl Pomplun: Berlin, Augsburg, Bamberg, Nürnberg, Regensburg, Salzburg, Würzburg, Innsbruck.

Kartographie:

Wagner & Debes, ab 1953: Dr. Wagner, Berlin; VEB BI, Leipzig; Wenschow, München; Schiffner, Lahr; Ravenstein, Frankfurt; Westermann, Braunschweig.

Federzeichnungen:

Gerhard Gronwald, Katja Ungerer, Elke Baedeker, Prof. Greiss (Leipzig, 2.A.), Erdmann Baier (Mainz).

Gesamtherstellung: Langenscheidt, Berlin; Augustin, Glückstadt; Rombach, Freiburg; Oldenburg, München.

Alex W. Hinrichsen: Entstehung eines Reiseführers am Beispiel von 'Hamburg' 1951 und 'Detmold' 1974.
In "Reisen und leben" Heft 16, S. 16-20.
(Holzminden: Ursula Hinrichsen; 1988)
ISBN 3-922293-16-6


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